Holocaust-Gedenktag: "In der Flut der Bilder vergessen wir, was unsere Augen gesehen haben"

Nachricht Hameln, 01. Februar 2025
In einer szenischen Lesung ließ die Evangelische Jugend unter Leitung des Historikers Bernhard Gelderblom das kurze Leben der alten Hamelner Synagoge Revue passieren. Foto: Harald Langguth

Seit 1996 ist der 27. Januar bundesweit ein gesetzlich verankerter Gedenktag. An diesem Tag befreite 1945 die Rote Armee das Vernichtungslager Ausschwitz-Birkenau. Allein dort wurden rund 1,5 Millionen Menschen ermordet. In einer Gedenkveranstaltung der Volkshochschule Hameln in der gut besuchten Marktkirche erinnerten Oberbürgermeister Claus Griese, Volkshochschulleiter Roland Cornelsen und Superintendent Dr. Stephan Vasel an die Opfer des Nationalsozialismus. Das kurze Leben der 1879 geweihten Hamelner Synagoge beschrieb eine szenische Lesung der Evangelischen Jugend unter Leitung des Historikers Bernhard Gelderblom in Form einer Zeitreise. Kirchenkreiskantor Stefan Vanselow begleitete die Gedenkveranstaltung an der Orgel mit Stücken des jüdischen Komponisten Louis Lewandowski.

Geister einer Vergangenheit lassen sich erneut wecken

Stephan Vasel schlug einen Bogen von der großen Demonstration am 10. Februar 2024 gegen Rechtsextremismus und für Demokratie in Hameln über Hass, Hetze und Desinformation in den sozialen Medien bis zum Film „The zone of interest“. Dieser beschreibt die scheinbar bürgerliche Idylle des KZ-Kommandanten Rudolf Höß mit seiner Familie in einem Haus unmittelbar am Vernichtungslager Ausschwitz, während Menschen schreien und getötet werden. Gezeigt wird in dem Oscarprämierten Streifen die menschliche Fähigkeit, selbst die grauenhafteste Realität als normal zu empfinden. „Wir erleben gerade, dass Geister einer Vergangenheit, die wir hinter uns glaubten, sehr bereit sind, sich erneut wecken zu lassen. Radikale Positionen und Judenfeindlichkeit nehmen zu“, schilderte Vasel. „In der Flut der Bilder vergessen wir, was unsere Augen gesehen haben.“
Es gelte eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirke. 

Wie können Menschen den Holocaust als Lüge bezeichnen?

Auch Hamelns Oberbürgermeister Claudio Griese wurde in seiner Rede deutlich. Er bezeichnete den Holocaust als eine rassenideologisch betriebene Tötungsindustrie der Nazis, für den die Nürnberger Rassengesetze von 1935 den Hintergrund lieferten. „Binnen Sekunden wurde in Ausschwitz entschieden: Wer kommt in die Gaskammer? Wer ist dem Regime noch nütze? Wie kann es sein, dass heute wieder Menschen den Holocaust als Lüge bezeichnen?“, fragte sich Griese. Die Vergangenheit zeige, wie schnell aus einer fragilen Demokratie eine Diktatur werden könne. „Wir müssen für eine pluralistische Demokratie kämpfen. Ziehen wir diese Lehre aus unserer Vergangenheit“, betonte der Oberbürgermeister.

Zwei Jahre Bau am Modell der Synagoge

Beschäftigte der Fördergesellschaft Impuls enthüllten am Ende der Gedenkveranstaltung in der Marktkirche ein Modell der zerstörten Hamelner Synagoge. Ein achtköpfiges Team hatte das Gebäude aus 30.000 Wandsteinen und 25.000 Dachziegeln aus Ton errichtet. Zwei Jahre dauerten die Arbeiten unter Leitung von Wolfgang Pütz.

Die Synagoge in der Bürenstraße war in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 von Hamelner Nationalsozialisten in Brand gesetzt und bis auf die Grundmauern zerstört worden. „Die Polizei hat nur beobachtet und Schaulustige ferngehalten. Die Hamelner Feuerwehr schützte mit ihren Löschmaßnahmen lediglich die angrenzenden Gebäude vor dem Feuer“, schilderten die Jugendlichen in ihrer Lesung.  Seit 2011 steht am gleichen Standort in der Bürenstraße ein schlichter Neubau der jüdischen Synagoge. Harald Langguth