Regenbogenwolke | Doris Hellmold-Ziesenis

Manchmal haben wir zusammen geweint

Nachricht Hameln - Jugendanstalt Tündern, 06. Juni 2022

Nach zwanzig Jahren in der Jugendanstalt Tündern geht Pastor Karsten Brüggemann in Ruhestand

„Ich habe meinen Beruf ergriffen, weil ich einzelnen Menschen gern zur Seite stehen wollte mit meinen Erfahrungen,“ sagt Karsten Brüggemann. Zwanzig Jahre lang war er Pastor in der Jugendanstalt Tündern und damit genau am richtigen Ort: „Hier kann ich von morgens bis abends Menschen in den Existenzfragen zur Seite zu stehen.“ Das Zwischenmenschliche und Seelsorgerische hält sogar manchmal über die Entlassung hinaus, denn als Pastor darf er weiter Kontakt haben. Und so besuchte er auf Wunsch ehemalige Insassen, wurde schon um Hochzeitszeremonien gebeten, „ich habe draußen auch getauft,“ sagt Brüggemann, „das sind die schönen Momente“.

Insgesamt ist er jetzt aber froh, Entlastung von den schweren Problemen der Insassen zu bekommen: „Die Geschichten sind mit sehr viel Leid verbunden, das hat mich nicht kalt gelassen. Manchmal haben wir zusammen geweint.“ Er betont: „Wir arbeiten hier mit den sozial Abgehängten, an der gesellschaftlichen Front. Wir erreichen Menschen, die „draußen“ niemand erreicht.“ Erfreulicherweise sitzen weniger Insassen als früher in der JA Tündern ein. Dadurch sind intensivere Gespräche und auch Gesprächsserien möglich, so Pastor Brüggemann: „Früher konnten wir nur Pflaster kleben, heute können Wunden behandelt werden.“ Allerdings nimmt auch die Problematik zu, „viele arabische Insassen sind durch die Kriegshandlungen schwerst traumatisiert“. Ob seine Stelle wiederbesetzt wird, ist noch nicht klar.

Vor seiner Zeit in der Jugendanstalt war Brüggemann 18 Jahre lang Gemeindepastor in Leer und Niendorf an der Weser. Dort ist auch sein Lebensmittelpunkt. Und weil die Strecke für die tägliche Fahrt etwas weit ist, hat Pastor Brüggemann während seiner Dienstwochen im Wohnwagen auf dem Campingplatz Himmelspforte in Bodenwerder übernachtet. Und hat auch dort viele Gespräche über Kirche geführt mit Menschen, die wenig Berührung mit Kirche haben. „Ich sehe meinen Beruf als Berufung, von daher war ich da authentisch.“ Er habe die Zeit und die Gemeinschaft auf dem Campingplatz sehr gemocht. Wenn er vom Dienst kam, lag häufig schon eine Bratwurst für ihn auf dem Grill.

Unter all das zieht Karsten Brüggemann jetzt einen Strich, gibt seine beruflichen Aufgaben an seinen Kollegen ab und freut sich auf eine neue, selbstbestimmte Lebensphase, ohne Gitter. Mit viel Zeit zum Fotografieren, Zeichnen und für die Enkelkinder. Und für ein Studium in Leipzig, gemeinsam mit seiner Frau -einfach die Freiheit genießen.

Doris Hellmold-Ziesenis, Öffentlichkeitsarbeit & Fundraising, Kirchenkreis Hameln-Pyrmont